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Monumental war das Orchester, das sich vor Dirigent Johannes Schlaefli aufbaute: Rund 200 Musikerinnen und Musiker des Akademischen Chors und des Akademischen Orchesters Zürich standen beziehungsweise sassen am vergangenen Montagabend auf dem Podium der Zürcher Tonhalle. Programmpunkt war ein einziges, dafür umso gewichtigeres Werk: Johannes Brahms’ «Deutsches Requiem». Der Protestant Brahms (1833-1897) setzt sich in seiner 1868 uraufgeführten Komposition dezidiert von der katholischen Tradition ab: Die Grundlage für sein Requiem ist nicht mehr der festgelegte Text der lateinischen Totenmesse, sondern eine Zusammenstellung von deutschsprachigen Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament. Und auch die Perspektive ist eine ganz andere: Brahms Requiem versteht sich nicht mehr als musikalisches Bittgebet, das die Verstorbenen begleitet, sondern richtet sich an die Hinterbliebenen. Sie sind es, die Hilfe und Trost brauchen und sich mit dem Tod auseinandersetzen müssen. So ist Brahms Requiem nicht nur eine Totenmesse, sondern auch ein musikalisches Memento Mori.
Brahms eigenwilliger Umgang mit der Tradition war dem Bekanntwerden des Requiems nicht nur zuträglich. Zentrale Motive der lateinischen Totenmesse wie das Jüngste Gericht werden in der Komposition nur angedeutet und die Erlösung durch Jesus Christus gar nicht erwähnt. Aus diesem Grund wurde dem Werk von verschiedenen Seiten eine fehlende Verankerung in der christlichen Lehre vorgeworfen. Die Stadt Basel lehnte deshalb eine Uraufführung ab. Und eine Aufführung 1868 im Bremer Dom wurde nur unter der Bedingung akzeptiert, das anstelle des damals noch nicht vollendeten fünften Satzes die Arie «Ich weiss, das mein Erlöser lebt» aus Händels «Messias» gespielt wurde. Erst ein Jahr später wurde Brahms Totenmesse dann im Leipziger Gewandhaus in seiner endgültigen, siebensätzigen Fassung uraufgeführt – ein Grosserfolg. Seither gilt das Requieum als eines der bedeutensten Werke des norddeutschen Komponisten; es ist sicher sein bekanntestes.
Musikalisch war Johannes Brahms ein kreativer Traditionalist. Seine Nähe zu Beethoven wurde immer wieder thematisiert und seine Auseinandersetzung mit Bach ist auch im Requiem allenthalben spürbar. Brahms’ Totenmesse lebt von den grossen Spannungsbögen und – zwischen Verzweiflung und zarter Hoffnung changierend – von den wechselnden Atmosphären innerhalb und zwischen der Sätze. Vor allem in rhythmisch akzentuierten Passagen etwa dem Trauermarsch des zweiten und im mit «Vivace» überschriebenen Teil des sechsten Satztes musizierten das Akademische Orchester und der Akademische Chor Zürich (Choreinstudierung: Anna Jelmorini) packend und kompakt.
Auch die Solisten, der lyrische Bariton Klaus Mertens und die (wenn auch teilweise schlicht zu leise singende) Christiane Boesiger mit ihrer ätherischen Sopranstimme fügten sich hervorragend in den Gesamtklang ein. Auch wenn das Orchester nicht immer, die in der Partitur angelegte musikalische Dichte hervorbringen konnte und der Chor in den höheren Lagen zuweilen mit der Intonation kämpfte, bleibt festzustellen: Es ist immer wieder erstaunlich, auf welch hohem Niveau das Orchester und der Chor, die sich aus Studierenden und Doktorierenden der Universität und der ETH Zürich zusammensetzen, musizieren – von den dunklen, tiefen Streichern zu Beginn des Requiems bis zum lichten Harfenarpeggio, das den Schlusspunkt setzt.