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«Die offensichtliche Wiederkehr der Religion fordert zu vertiefenden Analysen heraus, um zu verstehen, was sich hier vollzieht», begründet Reiner Anselm, Gastprofessor für Sozialethik an der Universität Zürich und Geschäftsführer des neuen Zentrums, die Schaffung des Zentrums. Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte und Rektor der Universität Luzern, hingegen möchte nicht von einer Wiederkehr der Religion sprechen: «Das Religiöse war nie verschwunden», erklärte er. Allerdings sei es in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund getreten.
Mit der Gründung des Zentrums wollen die Universitäten Zürich und Luzern dem Thema vermehrt Beachtung schenken. Das Zentrum geht auf die Idee von Konrad Schmid, Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Spätisraelitische Religionsgeschichte an der Universität Zürich, zurück und ist der Theologischen Fakultät der Universität Zürich angegliedert.
Es versteht sich aber als Netzwerk, zu dem auch die Theologische und Geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern gehören. Zur Trägerschaft wird demnächst auch die Universität Basel stossen und weitere Partnerschaften sind gemäss Reiner Anselm sehr erwünscht. Für die Finanzierung sind bereits Drittmittel von Stiftungen, Religionsgemeinschaften und aus der Wirtschaft in Aussicht gestellt.
Das Zentrum hat bereits im Herbst 2005 seine Arbeit aufgenommen. In Luzern laufen beispielsweise Projekte zum Thema «Muslime in der Schweiz» und in Zürich starten demnächst Studien zu «Islamic Finance» oder zur Frage der Ausbildung von Imamen und islamischen Religionslehrern an öffentlichen Institutionen. «Islamic Finance» wird untersuchen, wie das Finanzwesen dem Verbot des Zinsnehmens begegnen kann, wie es im Koran festgeschrieben ist.
Das neue Zentrum will aber nicht nur Studien lancieren, sondern versteht sich auch als Ort der interdisziplinären Begegnung zwischen Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und der Religionsgemeinschaften. Ein Mittel dazu werden die so genannten Forschungskollegien sein, in denen die Beteilligten drei bis vier Monate projektbezogen zusammen arbeiten, um dann ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. Geplant ist in Anlehnung an den angelsächsischen Raum auch ein eigentliches «Institute for Advanced Studies», welches Studiengänge als Weiterbildung anbietet.
Dass ein solches Zentrum nötig ist, betonte auch Kurt Spillmann als ehemaliger Leiter der ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse. «Unser Wissen über die Zusammenhänge zwischen religiöser Motivation und politischer Gewalt ist äussert dürftig», sagte er in seinem Referat. Klar ist für Spillmann, dass die gegenwärtigen Konflikte viel mit dem teilweise erhobenen Absolutheitsanspruch von Religionen zu tun haben.
Religionen wiesen immer Untergruppen auf, die von liberaler bis fundamentalistischer Gesinnung reichen. Konflikte zwischen Wertesystemen, so Spillmann, seien dann vorprogrammiert, wenn Fundamentalisten sich zu Wortführern machen können, Die Geschichte habe auf solche Phänomene verschiedene Antworten zu geben versucht. War es in der Aufklärung die Trennung von Religion und Staat und bei Max Weber die Rationalisierung und «Entzauberung der Welt», so habe die UNO später die Lösung bei allgemeingültigen, globalen Prinzipien wie den Menschenrechten gesucht.
Heute seien wir wieder herausgefordert, Wege zu finden, um Absolutheitsansprüchen zu begegnen. Spillmann zeigte sich überzeugt, dass das neu eröffnete Zentrum hier eine wichtige Rolle spielen wird. Denn: «Gegenstrategien können nur erfolgreich sein, wenn sie auf genauen Kenntnissen der anderen Kulturen und ihren Religionen aufbauen.»