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«Aufgewachsen bin ich mit zwei Sprachen. Unsere Familie gehört zur ungarischsprachigen Minderheit in Rumänien. Meine Eltern sprachen Ungarisch mit mir, von den Kindern in der Nachbarschaft und in der Schule lernte ich Rumänisch.
Mit elf Jahren kam als erste Fremdsprache Englisch hinzu und mit 13 Jahren begann ich am Gymnasium Deutsch zu lernen. Weil ich mich für Sprachen begeisterte, begann ich an der Universität in Sibiu ein Studium als Übersetzerin für Englisch und Deutsch.
Mit vier Sprachen hätte ich gute Chancen gehabt, nach dem Studium in Rumänien eine Arbeit zu finden. Aber ich hatte 2001 bei einem Ferienjob in einem Kinderheim meinen jetzigen Freund kennen gelernt. Er ist Schweizer und leistete gerade Freiwilligenarbeit in Rumänien. Seit 2004 lebe ich daher in der Schweiz.
Mein Hochschulabschluss wurde in der Schweiz nicht anerkannt und so entschied ich mich für ein weiteres Studium. Seit dem Sommersemester 2005 studiere ich Anglistik an der Universität Zürich. Langweilig ist mir dabei nicht - der Unterricht unterscheidet sich doch sehr von meinem vorherigen Studium, weil ich jetzt neue Fächer wie Phonetik, Literatur und Old English besuche.
Gleichzeitig wollte ich mein Deutsch verbessern. Daher besuchte ich den Kurs «Deutsch im realen Kontext» am Sprachenzentrum. Zu Beginn hatte ich keine Ahnung, dass wir in ein Altersheim gehen würden, um in Gesprächen mit Bewohnerinnen und Bewohnern Deutsch zu lernen.
Die anderen Kursteilnehmer waren Studierende aus Polen, Brasilien, Italien, Portugal und den USA. Wir besuchten je eine Bewohnerin oder ein Ehepaar im Altersheim Wildbach in Zürich. Altersheime sind mir aus meiner Heimat nicht vertraut. In Rumänien wohnen die Eltern meist bei ihren Kindern, wenn sie nicht mehr selbstständig leben können.
Manchmal sprachen die Bewohnerinnen und Bewohner Dialekt mit uns. Auch ihr Hochdeutsch war natürlich von Dialekten und persönlichen Färbungen geprägt. Ziel des Kurses war es, unser Wissen in anspruchsvollen Situationen erproben zu können, denn wir hatten alle zuvor schon einige Jahre Deutsch gelernt. Ich besuchte Gertrud Gubler, die seit drei Jahren im Wildbach wohnt.
Die zweite Überraschung des Kurses war, dass wir einen Film über die Bewohner und ihr Leben im Heim drehen durften. Ich begleitete Frau Gubler zum Beispiel mit der Kamera an ihren früheren Wohnort in Zürich. Aus etwa 30 Minuten Filmmaterial schnitt ich zwei bis vier Minuten heraus, die jetzt im Film vorkommen.
Für mich wurde aus diesem Kurs eine unerwartet grosse Sache, bis hin zur Premiere des Films im Altersheim Anfang September. Ob sich mein Deutsch mit dem Kurs verbessert hat, lässt sich wohl erst später sagen. Auf jeden Fall stelle ich fest, dass ich in letzter Zeit immer öfter Deutsch und nicht mehr Ungarisch denke. Bei deutschsprachigen Fernsehsendungen verstehe ich unterdessen sogar schon fast alles.
Mein Berufsziel ist immer noch Übersetzerin. Am liebsten von Deutsch auf Ungarisch, Rumänisch oder Englisch. Oder von Englisch auf Ungarisch, Rumänisch und Deutsch. In der Regel übersetzt man ja von einer Fremdsprache in seine Muttersprache.
Frau Gubler werde ich vielleicht auch in Zukunft noch ab und zu besuchen und für den nächsten Kurs am Sprachenzentrum habe ich mich bereits angemeldet. Wer weiss, vielleicht schaffe ich es irgendwann sogar noch bis zum Schweizerdeutsch-Kurs.»