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unipublic: Der 70. Geburtstag des Dalai Lama, seine achttägige Belehrung in Zürich, Manuel Bauers Fotobuch, und nun Ihre Ausstellung über die Geschichte der 14 Dalai Lamas – eine zufällige Koinzidenz?
Martin Brauen: Nein, bereits im Sommer 2001 sprach ich mit dem Dalai Lama darüber, aus Anlass seines 70. Geburtstags ein Ausstellungsprojekt in Zürich zu realisieren. Sehr rasch ergab sich dann auch die zweite Ausstellung mit Fotografien von Manuel Bauer. Manuel hatte an sich ein Buch geplant. Ich hielt seine Reportage über den jetzigen Dalai Lama für eine sinnvolle Ergänzung. Kurz darauf haben Bekannte von mir, Diego Hangartner, Generalsekretär des Events im Hallenstadion, und seine damalige Lebenspartnerin, mit mir Kontakt aufgenommen und gesagt, sie planten, den Dalai Lama für eine längere Belehrung, ein so genanntes Teaching, nach Zürich einzuladen. So liess sich ein Paket schnüren: zwei Ausstellungen, zwei Publikationen und das Teaching im Hallenstadion.
Ist Ihr Ausstellungsprojekt beim Dalai Lama auf Unterstützung gestossen?
Er nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Er gab mir sogar Ratschläge. So machte er mich aufmerksam auf einige Mönche in Dharamsala, die den 13. Dalai Lama noch gekannt hatten. Ausserdem las der Dalai Lama einige Objekte, die sich in seinem Besitz befinden, speziell für die Ausstellung aus. Ich äusserte überdies den Wunsch, seine Nobelpreis-Medaille auszustellen, worin er sofort einwilligte.
Steht der Dalai Lama einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem tibetischen Buddhismus offen gegenüber?
Er schätzt sie sehr. In seiner Rede anlässlich der Eröffnung unserer Ausstellung «Traumwelt Tibet» im Mai 2000 sagte er, es sei sehr wichtig, zur wirklichen tibetischen Kultur und Geschichte vorzudringen. Im tibetischen Buddhismus – und nicht nur dort – gibt es die Anschauung, dass unser Bild der Realität ganz falsch ist. Es gibt einerseits die Realität und anderseits unsere Wahrnehmung derselben. Der Dalai Lama meinte, eine wesentliche Aufgabe von Wissenschaft und Bildung sei es, die Lücke zwischen Realität und Wahrnehmung zu verkleinern. Er findet es wichtig, dass wir auf diesem Gebiet weiterarbeiten.
Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich pflegt seit dreissig Jahren engen Kontakt zum Dalai Lama. Wie kam es dazu?
Angefangen hat es bereits 1970, als ich ein Jahr in Indien studierte. Damals traf ich ihn zum ersten Mal. Seither war immer ein lockerer Kontakt vorhanden. Wenn immer er in der Schweiz war, versuchten wir, etwas zu organisieren, ob an der Universität oder am Völkerkundemuseum. Der morgige Besuch zur Ausstellungseröffnung ist bereits der vierte, den er unserem Haus abstattet.
Wie gelang es, eine solche Vielzahl hochkarätiger Objekte in die Ausstellung einzuschliessen?
Da kamen mir Kontakte zu Museen und Privatsammlern zugute, die ich über die letzten dreissig Jahre aufgebaut habe. Ausserdem arbeite ich mit zwei Co-Kuratoren zusammen, Amy Heller, Tibetologin in Nyon, und Michael Henss aus Zürich, die bei der Beschaffung von Ausstellungsstücken sehr hilfreich waren. Ich glaube, wir haben einen Grossteil der zum Thema existierenden Objekte erreicht. So bietet die Ausstellung die umfangreichste Übersicht über die Inkarnationslinie des Dalai Lama überhaupt.
Was wollen die Ausstellung und das Buch?
Die Geschichte der Institution des Dalai Lama aufzeigen. Ihre Entwicklung ist sehr wechselvoll. So wussten die beiden ersten Dalai Lamas noch gar nichts von ihrem Glück, da sie erst posthum zu solchen ernannt wurden; der dritte erhielt den Titel von einem mongolischen, nicht tibetischen Fürsten. Das sind alles Dinge, die wenig bekannt sind. Wenn man die Geschichte der Dalai Lamas studiert, erfährt man sehr viel über die Beziehungen zwischen Tibet einerseits, der Mongolei und den Mandschu-Chinesen als dritter starker Kraft anderseits. Man erkennt, dass nicht alles so ist, wie man es sich gemeinhin vorstellt; dass zum Beispiel nur wenige der insgesamt 14 Dalai Lamas Tibet effektiv regiert haben; oder dass immer wieder Kämpfe um diese Position stattgefunden haben.
Der gegenwärtige Rummel um den Dalai Lama ist enorm. Wie war das, als Sie begannen, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
Ich erinnere mich noch gut an den ersten Besuch des Dalai Lama in der Schweiz Anfang der Siebzigerjahre. Damals habe ich einen Grossteil der Schweizer Presse mit Texten und Fotos über den Dalai Lama beliefert. Man wusste sehr wenig und kaum jemand interessierte sich dafür. Heute hingegen ist es mein Anliegen, besagte Kluft zwischen Realität und Wahrnehmung zu verkleinern. Ich bin froh, dass wir mit dem Buch und der Ausstellung «objektiv» über ein Phänomen sprechen können, das andere zum Teil zu verklärt, zu rosafarben darstellen.
Sie sind selber mit einer Tibeterin verheiratet. Was bedeuten die tibetische Kultur und der Buddhismus für Sie persönlich?
Sie liegen mir sehr nahe. Ich erfahre sie im eigenen Haushalt: Meine Schwiegermutter ist eine tibetische Nonne, mit ihr erlebe ich den Volksbuddhismus. Anderseits beschäftige ich mich an der Universität eher mit der «Hoch»-Religion. Es ist nicht einfach herauszufinden, was der tibetische Buddhismus überhaupt ist, weil es zahlreiche Erscheinungsformen gibt. Der Dalai Lama ist das beste Beispiel dafür: einer, der zwar die buddhistische Ethik sehr stark im Westen vertritt, anderseits aber auch ein grosser Traditionalist ist, der Orakel und Schutzgottheiten befragt – dies gehört genauso zum tibetischen Buddhismus, der Westen aber klammert es häufig aus.
Um den letzten Teil der Frage zu beantworten: Der Buddhismus war eine Bereicherung für mich und ist es immer noch. Ich finde vieles, was der Buddhismus vertritt, relativ nachvollziehbar und plausibel. Einzelaspekte wie die Meditationsmethode empfinde ich als etwas höchst Anregendes. Gewisse andere Konzepte, etwa das ganz andere Gottesverständnis oder auch die Betonung der Ethik, halte ich für spannend. Anderseits sehe ich eine Diskrepanz zwischen der Ethik, die der Buddhismus in hohen Worten umschreibt – Mitleid, Güte und Gleichmut – und der Umsetzung im Alltag, die nicht selten fehlt.