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Herr Heimgartner, Sie erhalten den Kametani Award 2005 des japanischen Chemie-Journals HETEROCYCLES? Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Heinz Heimgartner: Es ist eine internationale Anerkennung des engeren Fachkreises. Das heisst, die internationale Chemikergemeinschaft nimmt unsere Arbeiten zur Kenntnis und misst ihnen ein gewisses Gewicht zu. Das ist natürlich erfreulich.
Der Preis wird Ihnen für Ihre hervorragende Forschungsarbeit verliehen. Sie untersuchen heterozyklische Verbindungen, ringförmige Kohle-Wasserstoff-Verbindungen also, die ein Fremdatom – etwa Stickstoff oder Schwefel – enthalten. Welche Fragestellungen stehen in Ihrer Forschung im Vordergrund?
Heimgartner: Im Zentrum meiner Forschung steht die Frage, wie Moleküle reagieren beziehungsweise wie man Moleküle gezielt in andere umwandeln kann. Dieses Verständnis ist die Grundlage für die Herstellung von komplexen Verbindungen, mit zielgerichteten Funktionen. Die Heterozyklen-Chemie, die ich mit meiner Forschungsgruppe betreibe, fokussiert immer auf die Frage, wie eine Reaktion im Detail abläuft. Wie können wir diese Reaktion steuern? Und wie können wir diese Kenntnis nachher für die gezielte Synthese von Molekülen anwenden? – Seit rund 15 Jahren bilden Aminoazirine, das sind dreigliedrige, gespannte Heterozyklen, einen Schwerpunkt unserer Forschung. Es hat sich gezeigt, dass sie sich besonders eignen, um eine bestimmte Klasse von Peptiden – Bio-Molekülen also, die in allen Organismen eine wichtige Rolle spielen – einfach und mit guten Ausbeuten herzustellen. Diese Reaktionen waren vorher überhaupt nicht bekannt.
Weshalb sind Heterozyklen chemisch besonders interessant?
Heimgartner: Heterozyklische Verbindungen sind in der Natur praktisch allgegenwärtig. Zucker, Antibiotika und einige Vitamine sind beispielsweise heterozyklische Verbindungen, es gibt aber auch viele heterozyklische Peptide. Daneben existieren zahlreiche synthetisch hergestellte heterozyklische Verbindungen, die unser tägliches Leben beeinflussen: Medikamente etwa oder Agrochemikalien basieren meistens auf heterozyklischen Grundstrukturen.
Sie betreiben Grundlagenforschung. Welchen Nutzen hat Ihre Forschung für die Praxis?
Heimgartner: Wir unterhalten beispielsweise eine lockere Forschungszusammenarbeit mit dem Chemieunternehmen Hoffmann-La-Roche. Im Rahmen dieser Kooperation sind Substanzen entstanden, die für die Herstellung von Medikamenten erfolgsversprechend waren. Anderseits entwickeln und beschreiben wir wie gesagt Synthesemethoden für heterozyklische Verbindungen, die etwa für die Herstellung von Pharmazeutika oder agrochemischen Produkten von Interesse sein können. Ein Forscher in der pharmazeutischen Industrie kann beispielsweise vor dem Problem stehen, dass er eine interessante Reaktion durchführen will, für diese aber keine geeignete Vorschrift hat. In diesem Fall ist zu hoffen, dass er auf die von uns publizierte Vorschrift stösst, sie anwendet und so das Problem löst.
Mit welchen Problemen werden Sie im Labor konfrontiert?
Heimgartner: Wir versuchen im Labor immer zu einem gezielten Reaktionsverlauf zu gelangen. Dies wird umso schwieriger je mehr Stellen im Molekül vorhanden sind, die potenziell reagieren können. Heteroatome, das heisst Kohlenstoff-fremde Atome in den Ringverbindungen, sind solche reaktiven Stellen. Bei Heterozyklen stellt sich deshalb oft das Problem der Selektivität von Reaktionen – denn, wie gesagt, wir wollen die Reaktion nur an einer ganz bestimmten Stelle im Molekül. Wir erforschen unter anderem Möglichkeiten und Strategien für solche gezielten Reaktionen.
Sie erforschen auch die chemischen Eigenschaften von Peptiden? Welche Fragen stehen hier im Vordergrund?
Heimgartner: Peptide sind für Organismen von grosser Bedeutung: Überall wo Leben vorhanden ist, gibt es auch Peptide. Sie übernehmen unglaublich viele, sehr spezifische Funktionen. Die speziellen Effekte die sie im Körper bewirken, hängen von den Strukturen des jeweiligen Peptidmoleküls ab – ob es also etwa Schlaufen bildet oder eine helikale Struktur aufweist. Deshalb ist es von Interesse, solche Strukturen gezielt zu synthetisieren. Eine Möglichkeit dies zu tun, besteht darin, Strukturelemente einzubauen, die eine gewünschte Faltung des Peptids bewirken.
Aufgrund ihrer spezifischen Wirkungen könnte man annehmen, dass Peptide ideale pharmazeutische Wirkstoffe sind. Das Problem ist aber, dass Peptide im Organismus, vor allem im Magen, abgebaut werden, bevor sie ihre Wirkung entfalten können. Diesen Abbau möchte man – bei einem Medikament – natürlich verhindern. Es gibt nun die Möglichkeit, peptidfremde Aminosäuren in die Moleküle einzubauen, die die Natur nicht kennt und die die Enzyme deshalb nicht abbauen können. – Diese beiden Aspekte der Peptid-Chemie stehen in unserer Forschung im Vordergrund.
Sie werden nächstes Jahr emeritiert. Was planen Sie für die Zeit nach dem Forschungsalltag?
Heimgartner: Ich möchte nach der Emeritierung sicher einige zusammenfassende Artikel schreiben, die unsere Erforschung von heterozyklischen Verbindungen in einen grösseren Zusammenhang stellt, und die sich an ein breiteres Publikum wenden. Für ein solches Vorhaben fehlte bisher einfach die Zeit.