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Herr Zinkernagel, als einziger Schweizer sind Sie in den EU-Forschungsrat gewählt worden. Was bedeutet diese Wahl für Sie?
Rolf Zinkernagel: Das freut mich natürlich. Ich möchte mich in diesem Gremium vor allem für die Grundlagenforschung in der EU und der Schweiz einsetzen. Es ist wichtig, dass wir in Europa ähnlich wie in den USA eine Art kontinentale Wissenschaftspolitik etablieren können, die von Wissenschaftlern formuliert und verantwortet wird.
Der EU-Forschungsrat soll künftig jährlich Förderbeiträge für Forschungsprojekte in der Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro sprechen. Was sind die Ziele des Rates, der aus 22 renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht?
Zinkernagel: Das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Das Gremium tritt diesen Oktober erstmals zusammen und muss sich langsam formieren, die reguläre Arbeit nimmt es dann ab Januar 2007 auf. Die Idee, die hinter der Schaffung eines EU-Forschungsrates steckt, ist aber folgende: Man wollte für die Förderung der Grundlagenforschung ein Gremium von hochkarätigen Wissenschaftlern schaffen, das auch von Forscherinnen und Forschern als glaubwürdig erachtet wird. Wissenschaftler haben gegenüber Brüssel zum Teil grosse Vorbehalte, weil ihrer Ansicht nach dort die Bürokratie zu viel zu sagen hat.
Es geht also darum, die Wissenschaftspolitik nicht allein den Politikern zu überlassen?
Zinkernagel: Man sollte tatsächlich Politiker nicht darüber entscheiden lassen, was beispielsweise Kultur, Kunst oder eben Grundlagenwissenschaften sind. Das funktioniert einfach nicht. Politisch gefördert werden, auch in der Schweiz, oft anwendungsorientierte Projekte. Das hat seine Berechtigung. Leider geht diese Förderpolitik oft auf Kosten von innovativen Projekten aus der Grundlagenforschung, die von einzelnen, hochkarätigen Forschern getragen wird.
Ist die Grundlagenforschung politisch auch schwieriger zu «verkaufen»?
Zinkernagel: Grundlagenforschung beziehungsweise freie Forschung ist meistens ein Langzeitinvestment, während anwendungsorientierte Forschung viel kurzfristiger gedacht und wohl auch nicht ganz unabhängig von den Wahlperioden von Politikerinnen und Politikern ist. In den USA wird sehr viel Langzeitinvestment getätigt: Das Budget für die Grundlagenforschung wurde in den letzten zehn Jahren verdoppelt, während es bei uns nahezu gleich geblieben ist. Da ist natürlich die Befürchtung berechtigt, dass man gegenüber der Vereinigten Staaten in Rückstand gerät.
Eines der Ziele des EU-Forschungsrates ist es demnach, ein Gegengewicht zur Forschung in den USA zu bilden. Stehen wir denn so schlecht da? Wird in Europa falsch gefördert?
Zinkernagel: In der Schweiz ist man ja oft der Meinung, wenn jemand Erfolg hat, müsse man ihn nicht mehr weiter fördern. In Amerika ist das ganz anders: Wenn jemand Erfolg hat, dann wird er erst recht gefördert, damit seine Forschung zum Durchbruch gelangt.
Das heisst, der EU-Forschungsrat sollte Eliteförderung betreiben. Er sollte Ihrer Ansicht nach herausragende Projekte der Grundlagenforschung unterstützen?
Zinkernagel: Ja, das wäre aus meiner Perspektive die wichtigste Aufgabe. Gefördert werden sollten Projekte der allerbesten Grundlagenforscherinnen und –forscher im EU-Raum. Das Programm der EU war es bislang, die Entwicklung länderübergreifend so zu organisieren, dass unbekanntere Wissenschaftler in einem EU-weiten Verbund mitgefördert werden. Das ist, wie wenn Sie im Hochsprung die Latte absichtlich nur auf 1 Meter 80 statt auf 2 Meter 20 legen, damit diejenigen, die lediglich 1 Meter 70 springen, auch eine Chance haben.
Das heisst, bisher wurde vor allem der «Breitensport» gefördert?
Zinkernagel: Das kann man so nicht sagen. Wichtig ist, dass vor allem politische und nicht wissenschaftliche Kriterien die Entscheide beeinflussten. In Europa waren Förderungsprogramme für die Grundlagenforschung bisher nur national organisiert. Es wird immer wieder argumentiert, für eine europäische Wissenschaftspolitik sei kein Platz, die Länder sollten selbst bestimmen, was förderungswürdig ist und was nicht. Ich kann diesen Standpunkt nachvollziehen. Ich glaube aber, parallel dazu braucht es Programme, die länderübergreifend, die Besten der Besten in Europa fördern.
Reichen die 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, die dem EU-Forschungsrat voraussichtlich zur Verfügung stehen werden, für dieses Vorhaben?
Zinkernagel: Ich denke, damit ist ein Anfang gemacht. Die 1,5 Milliarden Euro, mit denen die EU jetzt die Grundlagenforschung fördern will, sehe ich primär als Absichtserklärung. Das ist ein Fundament, auf dem man aufbauen kann. Ideal wären allerdings 30 Milliarden Euro – den EU-Forschungsrat von Beginn an mit einem solchen Budget auszustatten wäre politisch aber nicht denkbar gewesen. Noch vor nicht allzu langer Zeit hat man übrigens noch von einem jährlichen Budget von 3 Milliarden Euro gesprochen – dieses wurde dann kurzfristig halbiert. Da geht es der Wissenschaft wie der Kunst – in diesen Bereichen fällt es der Politik immer wieder leicht zu kürzen.
Wie schätzen Sie die Chancen von Schweizer Forscherinnen und Forschern im Wettbewerb um die EU-Fördergelder ein?
Zinkernagel: Aus Schweizer Sicht haben wir eine günstige Ausgangslage – was die wissenschaftlichen Resultate anbelangt, ist die Schweizer Forschung, relativ zur Grösse gesehen, genauso gut, wie diejenige in den USA. Diese hohe Qualität hat man in den letzten 50 Jahren mit Hilfe des Nationalfonds, aber auch anderer Förderungsinstitutionen erreicht. Hinzu kommt, dass in der Schweiz eine grosse Flexibilität bei der Anstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht. Das ist sehr wichtig. Denn wenn ich diejenigen, die ich für die Besten halte, nicht anstellen kann, habe ich auf dem Markt einen Nachteil. Ein vergleichbares Beispiel wäre, wenn man für die Luzerner Musikfestwochen nur Schweizer Geigerinnen und Geiger engagieren würde. Das wäre absurd. Mustergültig ist in dieser Beziehung die ETH, wo wahrscheinlich gegen 50 Prozent der Personen in leitenden Positionen Nicht-Schweizerinnen und -Schweizer sind. Das heisst, hier gibt es einen echten internationalen Wettbewerb «at its best». Der Erfolg der ETH basiert nicht nur auf der Forschungsförderung, sondern auch auf diesem sehr liberalen Umgang mit Exzellenz.
Die Schweiz halt also gute Chancen, weil sie hervorragende wissenschaftliche Qualität bietet?
Zinkernagel: Ja. Aber ich gehe nicht primär als Vertreter von Schweizer Interessen nach Brüssel. Es geht mir vor allem darum, dass wir der europäischen Grundlagenforschung ein tragfähiges Fundament geben und einen offenen Wettbewerb unter den besten Forscherinnen und Forschern ermöglichen können.
Sie haben die Mobilität als wichtigen Erfolgsfaktor für einen Forschungsstandort genannt. Sie sind auch Mitglied des Komitees «Forschungsstandort Schweiz für die Bilateralen» und setzen sich damit aktiv für die Personenfreizügigkeit ein. Weshalb dieses politische Engagement?
Zinkernagel: Wie gesagt ist die Freizügigkeit in der Forschung gewährleistet. An der Universität ist es nie ein Thema, ob wir einen Postdoc anstellen oder eine Professorin aus dem Ausland berufen können oder nicht. Hier funktioniert die Mobilität also und wir könnten uns mit der Situation zufrieden geben. Ich denke aber, es ist für die ganze Schweiz wichtig, dass die Personenfreizügigkeit gewährleistet ist. Die Schweiz kann als Insel nicht überleben, sei es in der Wissenschaft, sei es in der Wirtschaft. Von gewissen liebgewonnen Eigenheiten müssen wir uns künftig wohl leider trennen – «there is no such thing as a free lunch», dieser berühmte Satz trifft wohl auch in diesem Zusammenhang zu.