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Der Ort der Ausstellungseröffnung war mit dem Kaufleuten-Saal mehr als ungewohnt gewählt. Wo sich normalerweise Beautiful People die Nacht um die Ohren schlagen, jeder irdischen Zerstreuung zugetan, warteten geradezu andächtig Hunderte von Menschen darauf, Seine Heiligkeit, den 14. Dalai Lama, zu sehen und zu hören. Gutmütig liessen erste Besucher schon eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung die strengen Sicherheitskontrollen inklusive Bodycheck über sich ergehen, um dann geduldig im schliesslich randvollen Saal auszuharren.
Als Seine Heiligkeit kurz nach zwei Uhr mit seiner Begleitung erschien und auf dem rot-goldenen Sessel Platz nahm, war der ganze Saal still vor Erwartung. Ähnlich wie am Anfang einer katholischen Messe erhoben sich unabgesprochen und schweigend alle von ihren Stühlen, um dem 14. Dalai Lama ihre Reverenz zu erweisen.
Auch die Politik, vertreten durch Regierungspräsidentin Dorothée Fierz, zeigte sich für einmal nicht diplomatisch und zurückhaltend, sondern äusserte unverhohlen ihre Freude über den Besuch des Dalai Lama. Viele Tibeter hätten in Zürich eine zweite Heimat gefunden, betonte Fierz.
Zwischen dem Kanton und Seiner Heiligkeit bestünde seit Jahrzehnten eine gute Beziehung, und insbesondere das Völkerkundemuseum habe mit seinem Engagement den Kontakt intensiviert. «Der Dalai Lama ist in seiner Geisteshaltung, seiner Lebensgestaltung und seiner Weisheit ein Vorbild», schloss die Regierungspräsidentin ihre einführenden Worte ab.
Ähnlich betonten auch die Grussworte von Prorektor Prof. Ulrich Klöti von der Universität Zürich die lange Verbundenheit Zürichs mit dem Dalai Lama. Bereits in den 70er Jahren habe Seine Heiligkeit sein Interesse an einem Austausch mit den Wissenschaften formuliert; heute morgen sei es Realität geworden: Spitzenforscher der Universität Zürich hätten ihre neurowissenschaftlichen Erkenntnisse dem Dalai Lama präsentiert und mit ihm über die «harten Fakten» und deren Zusammenhang mit spirituellem Denken diskutiert. «Danke, dass Sie Optimismus nach Zürich gebracht haben», bedankte sich Klöti.
Dankbar war auch der Kurator des Völkerkundemuseums, Privatdozent Dr. Martin Brauen. Er erwähnte die wichtigsten Beteiligten, die die beiden Ausstellungen ermöglicht hätten – und hob dabei insbesondere seine tibetische Frau hervor. Die feierliche Übergabe des Buches «Die 14 Dalai Lamas» an die 14. Reinkarnation des göttlichen Wesens Bodhisattva Avalokiteshvara (als die die Dalai Lamas angesehen werden) rundete den ersten Teil der Veranstaltung ab.
Anschliessend folgte ein Gespräch zwischen dem Publizisten und Moderator Roger de Weck und dem Dalai Lama. Es mäanderte unangestrengt und heiter zwischen alltäglichen Banalitäten – wie beispielsweise, dass Seine Heiligkeit nach dem heissen Italienwetter froh über die kühl-nasse Schweiz ist – und politischem Sprengstoff – wie es um die Verhandlungen mit der Besatzungsmacht China steht.
In gewohntem Understatement zeigte sich der Dalai Lama ganz als «Normalbürger» - «vielleicht will die Gesellschaft nach meinem Tod keinen weiteren Dalai Lama» - und zum Scherzen aufgelegt: «Wenn ich mich nicht irre, hat mir die Heilige Maria in Einsiedeln zugezwinkert, vermutlich hat sie mich gesegnet». Je nach Frage argumentierte er traditionell verbunden - «ich spüre die 2400-jährige Tradition sehr tief in mir» - oder aufgeklärt-emanzipiert: «Sehr gut möglich, dass mein Nachfolger eine Frau ist».
Wie man problemlos von unsichtbaren Geistwesen zur realen Besatzungsmacht China kommen kann, zeigte der weitere Verlauf des Gesprächs zwischen Roger de Weck und dem Dalai Lama. Ja, es gebe unsichtbare Wesen, antwortete der Dalai Lama auf die entsprechende Frage. Und wie im sichtbaren Leben seien die einen sensibel und gut, während die andern aggressiv und zerstörerisch agierten. Aber alle hätten gemeinsam, dass sie dank ihrer Körperlosigkeit viel beweglicher seien, viel schneller, und gänzlich andere Erfahrungen machten.
1954 sei ihm der 5. Dalai Lama im Traum erschienen, später auch der 13.; er habe ihn auch belehrt, «bloss völlig unverständlich», fügte das Oberhaupt der tibetischen Buddhisten lachend an. – Und ja, China habe sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert; es entwickle sich zu einer wichtigen (Wirtschafts-)Macht und werde deshalb um des guten Rufes Willen irgendwann auch die Besetzung Tibets aufheben.
Bei den letzten Treffen habe es positive Anzeichen dafür gegeben. «There is hope», fand Seine Heiligkeit, und er werde versuchen, seinen Teil zum gegenseitigen Vertrauen beizutragen. Und ja, die Schweiz als kleines Land könne dabei eine wichtige Rolle spielen. Denn gerade kleine Länder seien unabhängiger und freier, um aufklärend wirken zu können.
Im Anschluss an das Gespräch besichtigte Seine Heiligkeit die beiden Ausstellungen im festlich mit Gebetsfahnen hergerichteten Völkerkundemuseum.