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«Jeder, der bei Verstand ist, ist für Europa», begann Erwin Teufel seinen Vortrag an der Universität Zürich mit einem klaren Statement. Nach der Erfahrung der Weltkriege und vor dem Hintergrund der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts lasse sich der enorme Erfolg der europäischen Entwicklung nicht bestreiten. In Europa gebe es zum ersten Mal keine Allianzen und Gegenallianzen. Und in Deutschland lebe jetzt die dritte Generation, die keinen Krieg kennen gelernt hat. Als besondere Ehre empfinde er in diesem Zusammenhang, in der Aula der Universität Zürich vorzutragen, in der Winston Churchill 1946 seine berühmte Rede an die «Jugend von Europa» gehalten habe, sagte der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, der am 15. Juni auf Einladung des Europa Instituts über die Verfassung Europas sprach.
Lange Zeit sei die europäische Vereinigung stark von der Bevölkerung mitgetragen worden. Umfragen hätten in Deutschland von den 1970er bis Mitte der 1990er Jahre eine Zustimmung zur EU von 70 bis 80 % verzeichnet. Seit zehn Jahren aber gehe das Wohlwollen zurück, lediglich 45% positiver Stimmen seien in den letzten Jahren zu verzeichnen gewesen.
Die Bürger hätten über zu lange Zeit negative Erfahrungen mit der Europäischen Union gemacht, erklärte Teufel. Da sei zum Beispiel der Bauer, der wegen der vielen europäischen Richtlinien mehr am Computer sitze, anstatt auf dem Acker zu arbeiten. Oder der Metzgermeister, der den Wasserhahn aufgrund von Hygienevorschriften der EU nicht mit der Hand, sondern nur mit dem Ellbogen bedienen dürfe. Auch dem Kommunalpolitiker leuchte nicht ein, warum ein Wasserschutzgebiet Sache des Landratsamts sei, während die Bestimmungen für das benachbarte Vogelschutzgebiet im fernen Brüssel festgelegt würden. Und wenn der Entwurf der Chemie-Richtlinie der EU 1140 Seiten umfasst, dann werde damit vielleicht der Stab eines Grosskonzerns wie der BASF fertig, aber kein mittelständisches Chemieunternehmen.
Die unübersichtlichen Regelungen und die Tatsache, dass die europäische Gesetzgebung durch die Ministerräte erfolge, deren Sitzungen nicht öffentlich seien, führe dazu, dass für den Bürger zu wenig Transparenz herrsche. Europa habe zu viele Aufgaben übernommen. Manches könnte besser, billiger und bürgernäher auf der Ebene der Nationalstaaten, Regionen oder gar Kommunen gelöst werden, betonte Teufel. Nur was die Kompetenz der untergeordneten Ebene überschreite, müsse auf die nächst höhere Ebene übergehen. Diese Idee der Subsidiarität werde im heutigen Europa in unzähligen Fällen verletzt, hob Teufel hervor. Deshalb müsse man in der Europäischen Verfassung die Kompetenzen klar regeln und nationale Parlamente müssten eine wirksame Subsidiaritätskontrolle durchführen.
Aufgaben für die europäische Ebene gebe es weiterhin genug, dazu gehörten eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik, eine Grossforschungs und Währungspolitik. Zudem sei der Ministerrat als Institution dringend reformbedürftig. Er müsse vor allem öffentlich tagen, wenn er als Gesetzgebungsorgan auftrete. Zudem plädierte Teufel für eine verlängerte Amtsdauer der europäischen Ratspräsidenten und für die Abschaffung des Prinzips der Einstimmigkeit bei Entscheidungen. Zusätzlich müsse es einen europäischen Aussenminister geben.
Teufel gab aber zu Bedenken, dass die europäische Krise zum Teil innenpolitische Ursachen habe. Hauptproblem der Einzelstaaten sei die hohe Arbeitslosigkeit. «Eine der wichtigsten Aufgaben der Politik ist im Moment, Beschäftigung zu schaffen», sagte Teufel. Und dann dürfe man nicht vergessen, die Menschen emotional anzusprechen und sie anzuspornen, indem man sich auf die europäischen Werte besinnen. Teufel beendete seinen Vortrag mit einem Zitat von Theodor Heuss: «Europa ist auf drei Hügeln gebaut: der Akropolis, Rom und Golgatha.»