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Angesichts der Irritationen, welche die österreichische EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner hierzulande in den vergangenen Tagen hervorgerufen hat, warb der frühere EU-Kommissar für Landwirtschaft, Fischerei und ländliche Entwicklung, Franz Fischler, am Mittwoch in der vollbesetzten Aula der Universität Zürich für gegenseitiges Verständnis. Die Schweizer Regierung habe ein Interesse, dass die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen Mitgliedsländer im September ebenfalls vom Volk angenommen werde. «Österreich wird alles tun, um die Schweiz dabei zu unterstützen», hielt Fischler fest.
Andererseits müsse die Schweiz auch die Position der EU in Betracht ziehen: Mit einer Ablehnung der Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen Mitgliedsländer würde zweierlei Recht für EU-Mitglieder geschaffen. «Das Orwellsche Prinzip: 'Alle sind gleich, nur die einen sind ein bisschen gleicher', funktioniert in der EU nicht», so Fischler. Ferrero-Waldners Äusserungen kommentierte er mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann: «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar». Etwas Diplomatie sei allerdings nicht verboten, fügte Fischler schmunzelnd hinzu.
Nach zehnjähriger EU-Mitgliedschaft zog Fischler für sein Land auf wirtschaftlicher Ebene eine weitgehend positive Bilanz: «Österreich ist eindeutig reicher geworden durch die Mitgliedschaft in der EU», sagte Fischler. Als Beleg zog er eine ganze Reihe von Wirtschaftsfaktoren bei, die sich seit dem Beitritt positiv entwickelt haben. Dabei nannte er insbesondere auch den Ausbau der Forschung und Entwicklung, die er als Schlüssel für die erfolgreiche Weiterentwicklung der Wirtschaft bezeichnete.
Ganz besonders profitieren konnte Österreich auchvon der Ost-Erweiterung. Der frühere Nachteil, zu einem grossen Teil von damaligen Ostblock-Ländern umgeben zu sein, habe sich nun zu einem Vorteil gewandelt, so Fischler. Auf eine entsprechende Publikumsfrage räumte er ein, dass das Wirtschaftswachstum deshalb mindestens so sehr dem Wegfall des Eisernen Vorhangs wie der EU-Mitgliedschaft zu verdanken sei. Allerdings, fügte er an, hätte Österreich ohne den Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht dieselbe Rolle spielen können. Zudem hätten sich die Wirtschaften in den osteuropäischen Ländern ohne die Perspektive eines EU-Beitrittes nicht in diesem Masse entwickelt, zeigte sich Fischler überzeugt.
Auf der Negativseite des Saldos führte Fischler die ungelösten Probleme im Transitverkehr sowie die Zunahme der Bürokratie an. Diese sei aber hauptsächlich hausgemacht, denn bestehende Regelungen seien nicht durch die EU-Regelungen ersetzt worden. Vielmehr seien diese einfach dazugekommen. Die hohe Regelungsdichte rühre aber vor allem von den einzelnen Staaten her. «Die EU-Mitgliedstaaten führen pro Jahr mehr neue nationale Regelungen ein, als die EU bisher», illustrierte Fischler das Verhältnis.
Eine weniger positive Bilanz zog Fischler hinsichtlich der politischen Entwicklung in der europäischen Union. Die Probleme zeigen sich aktuell an der Diskussion um den Verfassungsvertrag. Die Ablehnung des Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden spiegeln nach Fischlers Ansicht nicht die Probleme mit der Verfassung, sondern sind eine Reaktion auf andere ungelöste Probleme in der EU, wie auch der jeweiligen nationalen Regierungen. Trotzdem seien die negativen Voten ernst zu nehmen. «Es ist eine Illusion, zu glauben, dass das ein Betriebsunfall war, der binnen weniger Monate wieder repariert werden kann» so Fischler.
Wenn die Verfassung eine Chance haben soll, so müsse sie die fünf wichtigsten Projekte der EU in den nächsten Jahren benennen und dafür Lösungen bereit stellen, erklärte Fischler. Als eine wichtige Herausforderung sieht er dabei die Behebung des Demokartie-Defizits an. «Es gibt keinen Ideenwettbewerb auf europäischer Ebene», sagte Fischler. Politische Diskussionen würden innerhalb der nationalen demokratischen Medien stattfinden. «Deshalb sind europäische Abstimmungen immer von nationalen Themen geprägt», so Fischler.
Umgekehrt würden sich nationale Politiker häufig so benehmen, als hätten sie mit den EU-Entscheidungen nichts zu tun. «Wir haben die Tendenz, Phantome zu sehen,» entgegnete Fischler auf eine entsprechende Anmerkung aus dem Publikum: «Europäische Politiker, die gegen die Interessen der Bevölkerung Entscheide fällen.» Tatsächlich seien es einzig die nationalen Politiker, die in der EU entscheiden würden und dafür müssten sie auch Verantwortung übernehmen.