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Eine Iranerin fährt mit dem Auto durch Teheran.Ihr etwa neun jähriger Sohn Amin steigt ein. Sie streiten. Die Mutter vertritt westliche Ansichten über Gott und die Welt. Sie hat sich von Amins Vater scheiden lassen und ist mit einem neuen Mann zusammen. Der Sohn scheint Sprachrohr des Vaters und der islamischen Welt: Er wirft der Mutter Egoismus und sogar ihre liberale Erziehung vor - während dem er sich von ihr ins Schwimmbad chauffieren lässt. «Kinder beschuldigen ihre Eltern dieser Tage für alles mögliche», sagt die Mutter. «Diese Frau hat eben aufgehört devot und aufopfernd zu sein und verströmt dabei ein beeindruckendes Selbstbewusstsein», so beschriebt Gunhild Kübler, die Moderatorin des Iran-Abends, die Protagonistin des Films «ten» vom Iraner Abbas Kiarostami. Allerdings kontrastiert dieser Stolz der Frau schmerzhaft mit ihrem Unvermögen, ihr Kind nicht für ihre Ohnmacht als Frau verantwortlich zu machen.
In dem 2002 entstandenen Spielfilm nehmen auf dem Beifahrersitz neben der Frau auf 10 Autofahrten auch die Schwester, eine Freundin und mehrere fremde Frauen Platz. Kiarostami erzählt in den dokumentarisch anmutenden Episoden aus dem Leben dieser Iranerinnen. Jede spricht von persönlichen Herausforderungen. Und immer wieder brechen Widersprüche der iranischen Gesellschaft auf. «Es ist noch nicht lange her, da fanden wir es lächerlich, zu beten», erinnert sich eine Freundin der Fahrerin, die erfolglos dafür betet, dass sich ihr Freund zu einer Heirat entschliesst. Und eine Prostituierte auf dem Beifahrersitz, fragt die Fahrerin, ob es nicht immer «ein Geben und ein Nehmen» sei - und meint damit die Abhängigkeit vom Mann als Prostituierte wie als Ehefrau.
Für die Orientalistin Eva Orthmann ist die Situation der Frauen in Kiarostamis feministischen Road Movie einerseits typisch für die iranische Gesellschaft, die sich in einem Umbruch befindet. Anderseits unterscheiden sich die Lebensprobleme der iranischen Frauen nicht wesentlich von Frauen im Westen. Und das Kino stellt für Eva Orthmann – trotz harter Zensur und Aufführungsverboten – einen «wichtigen partiellen Freiraum» dar. «Im Kino darf zwar nicht alles gesagt werden, aber eine Reihe von Missständen werden angesprochen.» Etwa die Drogenproblematik oder die Scheinheiligkeit der Mullahs. «Die grosse Offenheit erstaunt uns im Westen immer wieder», sagt Eva Orthmann.
Der 1936 in Teheran geborenen Schriftsteller Bahman Nirumand, der einmal unter dem Schah und einmal unter Khomeini ins Exil ging, stellt fest, dass die gesellschaftliche Rolle der Frauen heute viel bedeutender ist als zu Schah-Zeiten. «Damals hörte man bloss die Frauen aus der High-Society, heute sind es Abertausende. Die einfachsten Leute sind gut informiert», sagt Nirumand, der unter anderem den monatlichen Bericht zur Lage im Iran der Heinrich Böll Stiftung verfasst. Im Kampf für eine zivile, demokratische Gesellschaft spiele Frau seit der Machtübernahme der Islamisten vor 26 Jahren eine Schlüsselrolle, öffentlich und in der Familie. Auch als Verfechterin für mehr Individualität, dem zentralen Thema von Kiarostamis Film. Einem Thema, das auch unter iranischen Intellektuellen zur Zeit heiss diskutiert werde, so Nirumand. «Der Iran ist voller Widersprüche: Und mit diesen müssen sich die Menschen auseinandersetzen», sagt Bahman Nirumand. Widerspruch steckt für den Autor schon im Begriff der Staatsform der «islamischen Republik Iran»: Ein Staat, der Anweisungen von Gott erhält und der sich gleichzeitig nach dem Willen des Volkes richtet. Gibt es das? Genauso durchziehen Unvereinbarkeiten auch das persönliche Leben der Menschen im Iran.
Der Iran-Abend an der Universität Zürich ist Teil der weltweiten Kampagne von Amnesty International «Stoppt Gewalt gegen Frauen». Die Amnesty International Hochschulgruppe will damit für die Menschrechtsituation im Iran sensibilisieren und den kulturellen Austausch fördern. Der Schriftsteller Bahman Nirumand richtete während des Abends einen Appell an die Zuhörer/innen der fast gefüllten Aula: Der Westen solle nicht nur über Horrorbilder und Missstände im Iran reden und schreiben (was auch sehr berechtigt sei), sondern sich vermehrt für den demokratischen Wandel und ihre Vordenker - wie etwa die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi – interessieren. «Wenn man im Westen weiss, wer unsere Wortführer sind und für welche Ideale sie kämpfen, fördert das die Verständigung am meisten. Und je bekannter die Dissidenten in Europa sind, desto mehr Rückendeckung geniessen sie im Iran.» Und somit kämen auch die gesellschaftlichen Umbrüche im Iran schneller voran. «Aufzuhalten sind sie eh nicht», so Bahman Nirumand, egal ob nun ein Khatami oder ein Khomeini an der Macht ist. Die Orientalistin Eva Orthmann wünscht sich dagegen von den Menschen im Westen, dass sie den Iranerinnen und Iranern (auch den Geistlichen) besser vermitteln würden, «dass Freiheit nicht Chaos und Unmoral bedeutet».