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Als auf der Rennstrecke die Töffs an ihm vorbeidonnerten, wusste Daniele Carrozza: Aus mir wird nie ein Rennfahrer. «Viel zu gefährlich», sagt Carrozza, «und im Übrigen auch viel zu teuer.» Dabei hatte er immer geglaubt, er habe fürs Motorradfahren Talent. Talent hat er. Und nutzt es auch. Daniele Carrozza ist Publizistikstudent im elften Semester und Motorradtester. Seit vier Jahren testet er die neusten Motorräder für die Fachzeitschrift Moto Sport Schweiz. Carrozza hat die Passion zum Beruf gemacht und kann das theoretische Wissen des Studiums in der Praxis erproben. Glück gehabt. «Eigentlich habe ich den idealen Job», sagt der 27-Jährige. Eigentlich. Denn unter der Wunschprofession hat seine Passion doch auch gelitten.
«Meine Duc», sagt Carrozza liebevoll, wenn er von seinem eigenen Motorrad spricht. Seine Ducati 900 Supersport war für ihn immer das Grösste. «Irgendwie hässlich, aber exklusiv.» Eine Haltung, die er rasch ablegen musste; auf der Redaktion wurde seine Ducati-Liebhaberei nicht goutiert. Journalismus verlangt Objektivität, soviel war ihm klar. Dass ihn diese aber um seine geliebte Maschine bringen würde, das ahnte er nicht. «Ich kann heute nicht mehr sagen, welches der tollste Töff ist», sagt Carrozza. Das tönt wie eine kleine Klage.
Doch wie kommt man zu einem solchen Job? Eine gesunde Portion Unverfrorenheit kann nicht schaden. Während eines Praktikums bei der Credit Suisse entdeckte Carrozza die Website von Moto Sport Schweiz. Er fand sie scheusslich. Selbstsicher brachte er sich beim Verlag ins Gespräch und bot an, den Internetauftritt neu zu gestalten. Carrozza war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Verlag hatte sich soeben für einen Relaunch des Internetauftritts entschieden.
Schritt für Schritt hat sich Carrozza vom einfachen Online-Redaktor zum Motorrad-Journalist hochgedient, der gelegentlich für zweieinhalb Tage nach Miami zum Testfahren fliegt. Erfahrungen, die ihn auch für seine Lizenziatsarbeit inspirierten. «Der Motorradjournalist - ein Nutzen maximierender Homo Oeconomicus?» lautet der provisorische Arbeitstitel der Abschlussarbeit. Carrozza will untersuchen, wie unabhängig im Motorrad-Journalismus berichtet wird.
Studium und Arbeit - für die meisten Studierenden ist das eine eher konfliktreiche Beziehung. Rund vier Fünftel aller Schweizer Studentinnen und Studenten gehen neben der universitären Ausbildung einer Erwerbstätigkeit nach. Die Zahl der Werkstudierenden wächst stetig, was grundsätzlich positiv ist. Denn ohne jegliche Praxiserfahrung sind Stellen heute schwer zu finden. Für immer mehr Studierende steht die Erwerbstätigkeit während des Studiums an erster Stelle. Es ist nicht mehr die Arbeit, die sich in die vorlesungsfreie Zeit einfügen muss, sondern umgekehrt: Man geht zur Vorlesung, wenn es die Arbeit erlaubt. Daniele Carrozza leistet bei Moto Sport Schweiz ein 60-Prozent-Pensum. Hinzu kommen pro Arbeitstag drei Stunden Arbeitsweg. Motorradfahren, das riecht nach Freiheit und Abenteuer - die Organisation seines Studien- und Arbeitsalltags indes verlangen Carrozza einiges an Disziplin ab. Doch seine Arbeitszeiten sind einigermassen flexibel: «Ich habe einen tollen Chef. Ich kann auch gut einmal zwei Wochen fehlen, wenn eine Prüfung ansteht, so dass ich kaum je zwischen Studium und Job entscheiden muss», sagt er.
«Manchmal schleiche ich mich für eine halbe Stunde von der Arbeit, um kurz eine Besprechung mit einem Professor zu halten», sagt Caroline Büchel. Manchmal bleibt ihr neben dem Job einfach keine Zeit. Büchel studiert im neunten Semester Publizistik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Staatsrecht. Sie möchte ihr Studium im kommenden Herbst abschliessen. Ob die Zeit dazu reichen wird, ist unklar. Seit drei Jahren arbeitet sie Teilzeit als Casterin bei einer Werbefilm-Produktion. Bei laufenden Projekten ist sie vollzeitengagiert. Da sind Terminkollisionen mit dem Studium vorprogrammiert.
«Eigentlich wollte ich ja Lehrerin werden», sagt die 25-Jährige. «Ich habe das nie gesucht. Ich bin da irgendwie reingerutscht.» Das Eine habe das Andere ergeben. Immer wieder habe jemand angefragt. Was andere während Jahren erfolglos versuchen, passiert ihr nebenbei: Caroline Büchel macht Karriere beim Film. Heute hat sie eine Festanstellung und ein Stellenangebot für nach Studienabschluss. Ihre Aufgabe ist, Schauspieler für Werbefilme zu suchen. Werden Profis verlangt, durchwühlt sie Karteien. Nach Laien wie zum Beispiel für die aktuellen Migros-Spots späht sie auf der Strasse. Auf dem Set ist sie zudem für die Betreuung der Akteure zuständig. «Man muss ganz behutsam sein, damit sie sich entspannen und keine Angst mehr vor der Kamera haben», sagt sie. «Und damit sie wieder einmal mitmachen.»
Nicht nur die zeitliche Belastung macht Caroline Büchel das Nebeneinander von Studium und Arbeit schwer. Es ist auch das Pendeln zwischen zwei sehr unterschiedlichen Welten. Auf der einen Seite die spannende und herausfordernde Welt der Werbung, auf der anderen Seite die eher gemächliche Welt der Wissenschaft. «Da ist Sitzleder gefragt. Es fällt mir bisweilen schwer, mich für das Studium zu motivieren», sagt sie. Selbst beim Sprachgebrauch gibt es Kollisionen: In der Werbung werde alles schöngeredet, in der Wissenschaft indes gehe es eher ums Ausschliessen. Da kann es schon einmal passieren, dass sie in Formulierung und Argumentation daneben greift. «Manchmal frage ich mich, wofür ich überhaupt noch fertig studiere», sagt Büchel. Doch ihr Stolz würde es nie zulassen, ernsthaft den Abbruch des Studiums in Erwägung zu ziehen. Wer weiss, vielleicht wird der Studienabschluss plötzlich wieder wichtiger. «Das Filmbusiness ist zwar sehr spannend, aber irgendwie fehlt mir da auch etwas», sagt sie. Sie wisse nicht, wie lange sie noch als Casterin arbeiten wolle. «Mich zieht es eher in die Politik», erklärt die Liechtensteinerin. «Zum Beispiel als Beraterin für eine humanitäre Organisation.»
Billig und willig - Studenten sind die idealen Arbeitnehmer unserer Zeit. Wenns um Anstellungs-, Kündigungs- und Arbeitsbedingungen geht, sind sie äusserst flexibel. Obwohl in den meisten Branchen die Löhne gestiegen sind, beträgt der Durchschnittslohn für einen klassischen Studentenjob wie Bürohilfe, Nachtwache, Kellnern immer noch 20 bis 25 Franken - genauso viel wie schon vor 20 Jahren. Für Caroline Büchel ist es sogar noch weniger. Sie verdient für ihr 40-Prozent-Pensum rund 2000 Franken im Monat. Genug zum Durchkommen. «Ginge es nur ums Geld, würde ich wohl besser eine Routinearbeit ohne Verantwortung annehmen», meint sie.
Letzthin war da eine ältere deutsche Touristin. Sie wandelte hin und her, auf und ab, hat im Flüsterton gebetet, stundenlang. «Ich dachte: Natürlich, sie betet, dafür ist die Kirche doch da.» Doch plötzlich stürzte sich die Frau auf Brigitte Landolt und sagte eindringlich: «Du musst hier weg! Das Böse steht hinter dir.» Dann wandte sich die Frau wieder ab und machte weiter mit ihrem Gebet. Später kam sie zurück und erzählte, sie habe soeben Jesus, Maria und Johannes den Täufer getroffen. Es sei sehr schön gewesen. Aber sie, Brigitte, sei im Moment auf der Seite des Teufels. Es komme der Tag, an dem sie sich entscheiden müsse.
«Eigentlich passiert jedes Mal etwas Lustiges», sagt Landolt. «Doch das Erlebnis mit dieser Frau war schon etwas gfürchig. Schliesslich war ich mit ihr allein und für die Kirche verantwortlich», sagt sie. «Die Kirche zieht zum Teil komische Menschen an.» Brigitte Landolt ist 20 Jahre alt, studiert im zweiten Semester Medizin und hütet ein bis zwei Mal im Monat einen Sonntag lang das Zürcher Grossmünster. Sie verkauft Billette für den Münsterturm und ist Ansprechperson für die Besucher. «Ich arbeite fürs Sackgeld», sagt Landolt. Sie lebt noch zu Hause bei ihren Eltern, die für ihr Studium aufkommen. «Ich bin nicht religiös, aber ich mag meine Aufgabe im Grossmünster. Ich mag den Ort und ich mag die Stille, die abends einkehrt, wenn ich die Kirche schliesse.» Brigitte Landolt will einmal Kinderärztin werden. Mehr als ein, zwei Tage im Monat arbeiten will sie nicht. Das Medizinstudium sei straff organisiert und habe viele Pflichtstunden. Sie will es möglichst rasch hinter sich bringen. Im Minimum sechs Jahre dauert es bis zum Abschluss.
Noch vor einem Jahr war es gar nicht so einfach, überhaupt einen Studentenjob zu finden. «2003 gab es Wochen ohne ein einziges Inserat», sagt Raphael Bürgi von der Arbeitsvermittlung der Zentralstelle der Studentenschaft der Universität Zürich. Seit Beginn der Semesterferien im Februar habe sich die Situation merklich gebessert. «Wir bekommen täglich fünfzehn bis zwanzig neue Inserate.» Da ist fast alles dabei: Büroarbeiten, Sekretariat, Empfang,Telefonumfragen und Telefonmarketing, aber auch Aussergewöhnliches. «Neulich wurde ein Nierenstein - Zertrümmerungsapparat - Vorführer gesucht», erzählt Bürgi. Auch die Angebote aus dem Sexmilieu sind zahlreich. Doch diese werden bei der Arbeitsvermittlung der Studentenschaft nicht veröffentlicht. «Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass sich Studentinnen auf solche Angebote melden», sagt Raphael Bürgi.
Das Studium und seinenLebensunterhalt finanziert Dušan Djordjevic seit jeher selbst. Er hat immer einen Job gefunden. Seit Dezember 2002 verkauft er nun Eintrittsbillette im Sexkino in Oerlikon. Er muss lächeln, wenn er davon erzählt. Aber er erzählt es auch mit einer Prise Stolz. Denn wer macht schon einen so verruchten Job? Doch schlimm ist es nicht. «Ich war am Anfang ziemlich überrascht. Es war gar nicht so schmuddelig, wie ich es erwartet habe», erzählt er. Das Kino sei früher ein Tanzlokal gewesen und deshalb relativ hell.
«Ich bin der ewige Student», gibt Djordjevic freimütig zu. Er studiert Geschichte und Germanistik im neunzehnten Semester. Oder ist es schon das zwanzigste? Er weiss es selber nicht so genau. «Im Sommer könnte ich mit der Lizarbeit beginnen», sagt er. Er will die Verhältnisse in Jugoslawien während des Ersten oder des Zweiten Weltkriegs untersuchen. Seine Mutter stammt aus Kroatien, sein Vater aus Montenegro, Djordjevic hat die Kriege auf dem Balkan in den Neunzigerjahren hautnah miterlebt. Und mitgelitten - er hatte Verwandte auf allen Seiten der Fronten. «Ich will zu den historischen Wurzeln, die zu diesen Ereignissen führten», sagt Djordjevic. Es sei nämlich mitnichten so, wie es heute mehrheitlich dargestellt werde, dass nur die Serben die Bösen seien. «Bei der Geschichtsschreibung Jugoslawiens gibt es viel aufzuarbeiten.»
Seine Tätigkeit im Sexkino bezeichnet Dušan als ideal fürs Studium. Er werde sozusagen bezahlt fürs Lesen, denn er verkaufe ja nur rund fünf Eintritte pro Stunde. Da bleibe ihm viel Zeit für anderes. Fürs Lesen und Lernen zum Beispiel. «Aber wenn ich ehrlich bin, lese ich vor allem Comics und mache Computerspiele», sagt er. Und natürlich, am Anfang habe er auch die Sexfilme geschaut auf dem Monitor bei der Kasse. Aber das sei ihm ziemlich rasch verleidet. «Man stumpft schnell ab. Denn egal ob Siebzigerjahre, Achtzigerjahre oder zeitgenössisch - die Dialoge und Einstellungen der Pornofilme sind immer dieselben», sagt er.
Bei ihm verkehrten nicht unbedingt die typischen Sexkino-Gänger, seine Kundschaft sei sehr gepflegt, sagt Dušan Djordjevic. Überhaupt sei sein Kino nicht sonderlich bekannt. Ganz im Gegensatz zum Beispiel zum Sexkino Walche, das weltberühmt sei. Zwei Zivilpolizisten der Sittenpolizei hätten ihm bei einer Kontrolle einmal erzählt, dass die Walche sogar in Bangkok als Treffpunkt für Homosexuelle bekannt sei. Sein Kino hingegen fanden sie sehr gepflegt. Und auch darauf ist Dušan Djordjevic ein bisschen stolz. Von seinen Professoren hat er in seinem Kino trotzdem noch keinen angetroffen. «Die gehen wohl anderswohin, falls sie überhaupt ins Sexkino gehen», meint er. Dabei sei an einem Sexfilm doch nichts moralisch Verwerfliches. «Lust gehört zum Leben», findet er.