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Wir kennen ihn alle. Herrn Felix, Berufsmann und Familienvater, glücklich. Nomen est omen. Herr Felix ist ein angepasster Mensch. Leitsätze und Volksweisheiten weisen ihm den Weg durchs Leben, vorbei an den gefahrvollen Klippen des Alltags. In seiner knapp bemessenen Freizeit ertüchtigt er sich mit Badminton, am liebsten mag er Spaghetti al burro. Dazu einen guten Roten. Lieber ein Glas zu viel als eins zu wenig. Man gönnt sich ja sonst nichts. Aber mit dem Roten ist es wie mit allen schönen Dingen im Leben: Zu viel ist ungesund. Schliesslich ist Herr Felix ein verantwortungsvoller und pflichtbewusster Zeitgenosse. Sein Duschmittel ist biologisch abbaubar, japanische Zen-Flöten säuseln ihn allmorgendlich aus dem Schlaf des Gerechten, und mit seiner Frau sexuell zu verkehren, macht ihm so viel Freude wie am ersten Tag, sagt Herr Felix. Ihr übrigens auch.
Herr Felix nimmt das Leben, wie es ist. Wäre da nur nicht das monotone Rattern der S-Bahn, das ihn den Geschäften des Alltags entreisst und in eine längst beseitigte Gedankenwelt entführt. Immer weiter geht die Reise entlang des eigenen Stammbaums zurück, zum Grossvater, der im Freiburgischen eine Sägerei führte, zum Ururururgrossonkel, der als erster ein Reh über dem Feuer briet, bis hin zur Urgrossmutterzelle, aus der nicht nur Herr Felix, sondern wir alle hervorgegangen sind. Die grossen Sinnfragen kriechen hervor, Augenblicke des Zweifelns – verläuft sein Leben tatsächlich so, wie er es sich vorgestellt hat? Warum nicht den Trieben folgen, dem Einerlei des Alltags einen Haken schlagen, grosse Dinge tun? So wie einst, als seine prähistorischen Verwandten bei der Jagd auf das Mammut ihren Mut bewiesen. Fachkundig erklärt uns der Gedankenreisende, wie dabei vorzugehen sei. «Trifft der Speer das Mammut ins Herz, laufe man einige Meter weit weg, so dass das Tier ungehindert und tot zu Boden fallen kann.» Treffe man hingegen nicht ins Herz und bäume sichdas Tier turmhoch vor einem auf, ja dann ... Nur so viel sei verraten: Unser Held ist auch in brenzligen Situationen nicht um guten Rat verlegen. Für den Fall des Jagderfolgs verrät er uns zu guter Letzt, wie aus dem eiszeitlichen Rüsseltier eine kräftige Mammut-Bouillabaisse hergerichtet wird.
Abwechslungsreich und kurzweilig ist sie, diese rasante Fahrt zwischen Psychologie und Biologie, Anthropologie und Kulturwissenschaften. Sie führt direkt in die seelischen Abgründe des modernen Mittelmassmenschen. Dorthin, wo seine Urtriebe, seine Träume und Bedürfnisse lauern und im ständigen Widerstreit mit den Regeln liegen, die es uns erlauben, in Gesellschaft zu funktionieren. Darin liegt ein unerschöpfliches Komikpotenzial, an dem sich die beiden Schauspieler Erich Furrer und Erich Hufschmid genüsslich weiden. Hufschmid: «Der Mensch kommt immer wieder in Situationen, wo er eigentlich möchte, aber nicht darf. Darin liegt unsere alltägliche Tragik, aber auch unsere alltägliche Komik.» Wohl genau deshalb ist uns Herr Felix so nahe, manchmal geradezu beunruhigend nahe – wir verachten sein kleines Glück und klammern uns daran; wir bedauern sein kleinbürgerliches Idyll und erkennen uns ständig selbst in Teilen dieser Schablone.
Dramaturgisch geschickt versteht es das Duo, ein zeitgenössisches Sittengemälde in Gestalt des HerrnFelix mit evolutionsgeschichtlichen Fakten, freien Assoziationen und allerlei witzigen und irrwitzigen Episoden zu verknüpfen. Während Furrer vor allem den narrativen Faden spinnt, besorgt Hufschmid gekonnt und ideenreich den musikalischen Part. Immer wieder heben die beiden zu synchron gesprochenen Raps an, kippen bald in resignative Balladen und entfachen ein Feuerwerk an pantomimischer Szenenkomik, das jedes Requisit überflüssig macht.
Das gut gelaunte Premierenpublikum wusste es mit mehrfachem Zwischenapplaus zu danken. Stadträtin Kathrin Martelli findet das Stück «musikalisch irrsinnig» und «lustig, aber nicht Klamauk». «Es ist sehr realitätsnah und legt offen, was in vielen von uns vorgeht». Besonders gut in Herrn Felix einfühlen kann sich Filmemacher Fredi Murer. Die bewusstseinserweiternde Wirkung des Ratterns von Eisenbahnrädern kenne er aus eigener Erfahrung. Er sei dann besonders kreativ und nutze die Zeit gerne zum Schreiben. Auch Nationalrätin Kathy Riklin, die in der Kirche oder während langweiliger Kommissionssitzungen die Gedanken gerne treiben lässt, erkannte sich wieder. Gefallen hat ihr die Kombination von Sprache, Mimik und Gebärdenspiel.
Zufriedene Gesichter auch bei den Organisatoren. Das Wagnis, das Zoologische Museum vorübergehend in eine Theaterbühne zu verwandeln, habe sich gelohnt, meinen unisono Paul Ward, Direktor des Zoologischen Museums, und Marianne Haffner, seit kurzem Abteilungsleiterin Ausstellungen und Sammlungen. Für sie ist klar: Wollen Museen Erfolg haben, kommen sie an einer Öffnung ihrer Konzepte nicht vorbei. Denn die Konkurrenz wächst, die Budgets aber stagnieren.
Besonders sinnvoll sind Grenzgänge dort, wo – wie in diesem Fall – die thematische Nähe eine Zusammenarbeit geradezu aufdrängt. Davon versprechen sich beide Seiten gleichermassen, an ein neues Publikum zu gelangen. Theaterfreunde gehen ins Museum, Museumsgänger ins Theater. Die Kräfte potenzieren sich. Für Furrer/Hufschmid ist es ein besonderes Vergnügen, abseits der herkömmlichen Orte der freien Theaterszene zu spielen. Weitere Gastspiele sind im Naturmuseum in Luzern, im Bündner Naturmuseum in Chur und im Naturmuseum des Kantons Thurgau in Frauenfeld vorgesehen.
Im Anschluss an die fünfviertelstündige Veranstaltung traf man sich zum «Mammutfrass» im passenden Interieur. In der Eiszeitabteilung des Museums, unter den mächtigen Stosszähnen des Wehntaler Mammuts, lockten Apero-Dinos und krautige Köstlichkeiten, die auch dem diluvialen Elefanten wohl bekommen wären.