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Es tauen und bröckeln die Alpen

Wenn die Alpen nicht mehr halten, dann läuft bei den Permafrostexperten dieser Welt das Telefon heiss. Letzte Woche trafen sich 300 Forscher des gefrorenen Bodens zur 8. Internationalen Permafrostkonferenz an der Universität Irchel. Nur eine Woche nach dem Felssturz am Matterhorn.
Markus Binder

Wilfried Haeberli, Geographieprofessor an der Universität Zürich und Leiter der Konferenz.

Was hält die Schweiz im Innern zusammen? Ganz klar: Rütli, Freiheit und Demokratie. Doch das stimmt nicht ganz. Dazu gehört auch der Permafrost. Der ständig gefrorene Boden hält unsere Alpen zusammen und bedeckt rund 5 Prozent der Fläche der Schweiz. Deshalb ist es äusserst wichtig, mehr über den Dauerfrostboden zu wissen. Nicht nur weil vor zwei Wochen das Matterhorn etwas abgebröckelt ist, sondern vor allem weil das Eis des Hochgebirges und des hohen Nordens besonders stark auf die Klimaänderung reagiert.

Der Steinschlag am Matterhorn bescherte denForschern allerdings eine grosse Medienpräsenz: «Dieser Felssturz gab unserer Tagung ein besonderes Gepräge», sagte Wilfried Haeberli, Geographieprofessor an der Universität Zürich und Leiter der Konferenz. Die Organisatoren wählten vor fast zwei Jahren das Matterhorn auch als Logo. Froh aber sei er über den Vorfall deswegen nicht, sagte Haeberli: «Das ist eine ernste Sache, vor allem weil die Erwärmung des Untergrundes ein langsamer, langfristiger Prozess ist.» Es brauche aber wohl solche Zwischenfälle, um die Aufmerksamkeit dafür zu wecken und es sei daher zu begrüssen, wenn die Steine am richtigen Berg fallen, ohne jemanden zu verletzen. «Das Interesse erlahmt dann sehr schnell wieder, aber das Problem bleibt.»

Alle sind sich einig

Das Problem ist die Erwärmung des Untergrunds. Diese ist unbestritten, nicht nur in den Alpen, sondern vor allem auch im hohen Norden. «Diese Erkenntnis ist ein Meilenstein dieser Konferenz», sagt Haeberli. Und gleichzeitig lässt sich diese Erkenntnis nur aufgrund langjähriger Temperaturmessungen im Permafrost gewinnen. Deshalb, fordert Haeberli, sind diese langfristigen Messungen zu intensivieren, ja auf der ganzen Welt ein Messnetz zu installieren. Leider seien solche langfristigen Projekte nur schwer zu finanzieren.

Die Konferenz, die alle fünf Jahre stattfindet, bot den 300 Forschern aus aller Welt die Gelegenheit, sich auszutauschen. «Der Wissensmarkt hat hier am Irchel gut funktioniert», zieht Haeberli ein positives Fazit. Aufgefallen ist ihm, dass die Klimaveränderung immer mehr in den Mittelpunkt rückt und die technischen Problemen, wie Pipeline- oder Strassenbau im Permafrostgebiet etwas in den Hintergrund drängt. Haeberli stellt auch fest, dass das Interesse an den Interaktionen stark gestiegen ist, also wie die Luft, der Schnee, die Jahreszeiten und der Untergrund zusammenhängen. Um zu verstehen, weshalb Permafrost auftaut, genügt es nicht, diesen isoliert zu erforschen. Ein Bergsturz wie am Matterhorn ist nicht nur durch tauenden Permafrost zu erklären, sondern auch andere Faktoren wie die Steilheit desGeländes oder die Gesteinsarten müssen miteinbezogen werden.

Unsichtbarer Permafrost

An der Konferenz wurden zudem viele Modelle unterschiedlicher Reichweite vorgestellt und diskutiert; rein rechnerische Modelle, die Stärke der Universität Zürich, und Simulationen langfristiger Prozesse im Labor, etwa in Zentrifugen, die Stärke der ETH. In der Permafrostforschung arbeiten die beiden Hochschulen eng zusammen und haben auch die Tagung gemeinsam organisiert, unter Mithilfe vieler weiterer Institutionen der Schweiz und der EU, etwa des Schnee- und Lawinenforschungsinstituts in Davos. Im Scheinwerferlicht lag jedoch nicht nur der Permafrost in den Alpen, auch die Arktis, das Meer und der Mars waren Themen. Und auch die Ingenieurthemen sind weiterhin aktuell, etwa für den Bau einer Eisenbahnstrecke nach Tibet, wo über 600 Kilometer des Trasses über so genannt «warmen» Permafrost führen, welcher Temperaturen nur knapp unter 0°C aufweist. Der tauende Permafrost ist denn für Ingenieure auch das Hauptproblem. Verschiedene Kühlsysteme und Fundamentbauten wurden am Kongress vorgestellt.

Was passieren wird, wenn der Permafrost in der Schweiz taut, wissen die Forscher noch nicht genau, weil, so Haeberli, in diesem Gebiet die Forschung noch ziemlich am Anfang steht Systematisch wird in der Schweiz Permafrostforschung erst seit den 1980-er Jahren betrieben. Um die Naturgefahren abschätzen zu können, müssen robuste Modelle entwickelt werden. Aber dazu muss man zuerst wissen, wo der Permafrost überall vorkommt und das ist gar nicht so einfach, weil man ihn, im Gegensatz zu den Gletschern, nicht sieht. Aber er ist da - noch.