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Gesundheit stellt für 97% der Bevölkerung hierzulande Glücksfaktor Nummer eins dar, schickte der Klinische Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Prof. Wulf Rössler, seinem Vortrag im bis auf den letzten Platz besetzten Saal des Pfarreizentrums Liebfrauen voraus. Gleichzeitig treten psychische Krankheiten weltweit am zweithäufigsten auf. Was denkt die Schweizer Öffentlichkeit über diesen «Angriff» auf ihr Glück? Akzeptiert die Gesellschaft psychisch Kranke im nächsten Bekanntenkreis (Beruf, Familie)? Welche Behandlung möchte man ihnen angedeihen lassen und wie steht man zu den psychiatrischen Einrichtungen? Eine repräsentative Befragung von 1737 Schweizerinnen und Schweizern aller Landesteile, Schichten und Alterskategorien (16 bis 76 Jahre) zeigt, wie ambivalent die Sicht auf psychische Krankheiten ist.
Rund 42% der Schweizer Bevölkerung betrachten die Depression, 66% die Schizophrenie als Krankheit. Die Ursachen für eine Erkrankung werden erstaunlicherweise überwiegend in der Umwelt, vor allem im Stress, geortet. Dementsprechend hält «die Bevölkerung» vom Alleine-damit-Zurechtkommen nicht viel und empfiehlt nichtmedikamentöse, psychologische Therapieformen. Die Psychiatrie hat einen schlechten Ruf. Vor allem im Falle einer Depression wird vom Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik abgeraten, sogar die Hilfe eines Pfarrers und die heilende Wirkung frischer Luft (!) werden besser als der Psychiater empfunden.
Psychische Störungen lösen je nach Schweregrad beträchtliche Ängste in der Bevölkerung aus. Ein Grossteil der Bevölkerung befürwortet deshalb bei vermuteten Gefährdungen Zwangsmassnahmen gegenüber psychisch Kranken: 72% würden ihnen die Freiheit entziehen, 66% den Fahrausweis und 31% würden Frauen, die einmal psychisch erkrankt sind, bei Schwangerschaft einen Abbruch empfehlen. Die soziale Distanzierung gegenüber psychisch Kranken ist stark verbreitet: Man möchte sie weder als Babysitter, noch als Mieter noch als Nachbar haben. Am ehesten noch als Arbeitskollege. Wer jedoch Kontakt pflegt mit psychisch Kranken, distanziert sich weniger. Die Vorstellung scheint einmal mehr ungeheuerlicher als die Realität zu sein.
Solange eine Krankheit nicht bedrohlich nahe kommt, denkt die breite Öffentlichkeit jedoch «fortschrittlicher» als die klassische Schulmedizin. So plädiert sie stärker als die Ärzteschaft für ein psychosoziales Gesundheitsmodell, bei dem eine Krankheit nicht unbedingt als unabänderliches Schicksal und determinierende Biologie empfunden wird; Kranke sollten im Gegenteil ihr Umfeld mitgestalten können und nicht zusätzlich von der Umwelt behindert werden; sie sollten sich nicht alleine fühlen, ihre Rechte kennen, Zugang zu Informationen haben, etwas zu sagen haben, etwas erreichen und aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen können.
Stresssymptome stiegen in der Schweiz in den letzten 14 Jahren fast auf das Doppelte an. So lag es auf der Hand, dass an den 14. Zürcher Präventionstag auch eine Stressexpertin eingeladen wurde. Prof. Ulrike Ehlert von der Klinischen Psychologie II der Universität Zürich erläuterte Resultate ihrer neusten Untersuchungen. So hat jede Person zwar eine ganz individuelle Stresstauglichkeit, die man am besten zu akzeptieren lernt (Schizophrene z. B. sind eher stressanfällig). Doch lässt sich die Stressbewältigung präventiv, während einer akuten Erkrankung und sogar im Umfeld von chronisch Kranken verbessern. Gesunde können präventiv mittels «Stressimpfungstraining» einen positiven Umgang mit stressigen Situationen erlernen. Liegt bereits eine Erkrankung vor, geht es vor allem darum, bei allen Betroffenen das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit (man erwartet «das Gute») zu stärken - beides erstklassige Stressbewältiger. Auch spezifische Problemlösetechniken und kognitive Umstrukturierung wie z. B. positive Selbstinstruktionen (keine negativen Selbstgespräche mehr) und Muskelentspannung erzielen signifikante stressmindernde Effekte.
Das vierte Referat war der psychischen Gesundheit Adoleszenter gewidmet. Prof. Hans-Christoph Steinhausen präsentierte die Resultate der Zürcher Longitudinalstudie. Diese hatte einigen Staub aufgewirbelt, da sie eine markante Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Eltern und jener der Jugendlichen sichtbar gemacht hatte. Während 1997 91,6% der Eltern ihre Sprösslinge als «normal» einstuften, sahen die Jugendlichen ihre Befindlichkeit krasser: 13% gaben Substanzmissbrauch (inklusive Rauchen) an, 8,1% Angststörungen und zirka 5% affektive Störungen wie Depressionen. Das sei bedenklich, betonte Prof. Steinhausen am Ende der informativen Vortragsreihe: Jeder fünfte Jugendliche im Kanton Zürich weise eine psychische Störung auf, die Hälfte davon würde professionelle Hilfe benötigen, jedoch nur die Hälfte dieser Hälfte (5%) erhalte auch wirklich Unterstützung.