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Myrtha Welti, Christoph Wehrli, Sie haben beide vor rund dreissig Jahren in Zürich studiert. Wie hat sich die Universität seither verändert?
Myrtha Welti: Es hat sich natürlich vieles verändert. Es ist alles viel grösser geworden. Zum Teil sind die Studiengänge stärker verschult als früher. Heute wird auch vermehrt versucht, die Studiengänge den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Früher haben viele zuerst einmal studiert - die Frage des Berufs stand nicht so stark im Vordergrund wie heute.
Christoph Wehrli: Ich sehe natürlich nicht in die Seele der Studierenden, ich denke aber, das Verhältnis der Studierenden zur Universität ist etwas nüchterner geworden. Die Universität ist nicht mehr eine Gemeinschaft, in die man eintritt, um darin einige Jahre zu leben. Sie ist vielmehr ein Ort, an dem man sich holt, was man braucht. Das meine ich nicht negativ. Vor allem in überlasteten Fächern müssen sich die Studierenden auch überlegen, wie sie das Beste aus ihrem Studium machen. Dadurch sind sie auch selbständiger geworden. Die Professionalisierung der Forschung, die Spezialisierung der Wissenschaft, der Ausbau der Administration - das alles hat sich natürlich ebenfalls auf die Universität ausgewirkt und ihren Charakter verändert.
Sie haben die Fächer mit prekären Betreuungsverhältnissen angesprochen. Wo sehen Sie Lösungsansätze für die bestehenden Probleme?
Wehrli: Wenn es eine einfache Lösung gäbe, dann hätte man sie realisiert. Momentan wird für die Psychologie und die Publizistikwissenschaft ein Numerus Clausus vorbereitet. Eine härtere Massnahme ist bereits beschlossen worden: Die Aufhebung der Publizistik als erstes Nebenfach - jedenfalls für zwei Jahre. Ich sehe, dass man etwas tun muss. Ich bedaure es aber auch, dass solche Massnahmen ins Auge gefasst werden müssen, weil es ein prinzipieller Eingriff in die Studienfreiheit ist. Man sollte sich auch überlegen, wie es weiter geht - wie man neue Kapazitäten schafft und wie man verhindert, dass der Numerus Clausus auf den ganzen Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaftenausgreift. Ich denke aber letztlich nicht, dass die Universität, der Universitätsrat und die Regierung den Numerus Clausus leichtfertig anordnen werden.
Welti: Ich bin skeptisch - ich weiss, dass Beschränkungen teilweise notwendig sind. Die Frage ist, nach welchen Kriterien. Es sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass Beschränkungen nicht zu einer Zweiklassengesellschaft in der Bildung führen. Das Grundprinzip, dass Bildung für alle offen steht, sollte gewahrt bleiben. Vielleicht müsste man das Problem in einem grösseren Zusammenhang sehen und beispielsweise die Mittelschulstufe, die Zulassungsbedingungen für Fachhochschulen oder die Rolle der Berufsberatung in die Diskussion mit einbeziehen.
Herr Wehrli, was interessiert Sie an der Mitgliedschaft beim Universitätsrat?
Wehrli: Ich habe mich seit meinem Studium mit der Hochschulpolitik beschäftigt. Auch bei der NZZ war sie immer eines der Themen, die ich bearbeitet habe. Da ist es verlockend, auch einmal eine Innenperspektive zu bekommen. Dies betrifft einerseits politische und organisatorische Fragen, andererseits erhält man durch die Berufungsgeschäfte einen verstärkten Einblick in die Wissenschaft. Das ist natürlich spannend.
Hat das Ratsmandat Konsequenzen für Ihre journalistische Arbeit?
Wehrli: Ich schreibe bereits seit einiger Zeit nicht mehr über die Universität Zürich im Speziellen. Ich werde aber sicher weiterhin über die schweizerische Hochschulpolitik, über allgemeine Fragen und über die ETH schreiben. Doppelfunktionen sollte es also nicht geben.
Frau Welti, welches war Ihre Motivation?
Welti: Als Vizepräsdientin der Stiftung Science et Cité, die den Dialog von Wissenschaft und Gesellschaft fördern will, habe ich bereits viel Anschauungsunterricht bezüglich der Kommunikation von Wissenschaft erhalten. Ich betrachte mich als jemand, der aus Sicht der Gesellschaft im Universitätsrat mitredet. Ich möchte in einem gewissen Sinn der Universität den Spiegel vorhalten - das Bild, das die Universität und die Wissenschaft von sich selbst hat, sollte auch vermehrt mit der Wahrnehmung von aussen vermittelt werden.
Der Universitätsrat legt die strategischen Ziele der Universität fest. Welche Ziele gilt es vordringlich zu erreichen?
Welti: Die Universität muss eine Forschung und eine Lehre betreiben, die ihrem gesellschaftlichen Umfeld entspricht. Wir müssen Leute ausbilden, die mit ihrem Wissen später in der Gesellschaft etwas anfangen können. Auch die Forschung muss umsetzbar sein. Sie sollte sich nicht nur im akademischen Bereich Lorbeeren holen, sondern auf die Ansprüche der Gesellschaft zugeschnitten sein. Ich möchte eine Universität, die «fit for life» ist - die gut ist und international konkurrenzfähig. Wichtig ist mir als strategisches Ziel auch, dass man die Interdisziplinarität stärker fördert.
Wehrli: Es gibt noch wenig Erfahrungen mit strategischen Zielsetzungen für Hochschulen in der Schweiz. Die ETH hat zum zweiten Mal einen Leistungsauftrag erhalten, die Universität hat einLeitbild. Die Frage nach strategischen Vorgaben ist aber generell heikel: Entweder beschränken sich diese auf Allgemeinheiten - die Aussage etwa, Lehre und Forschung sollten auf hohem Niveau betrieben werden. Oder sie gehen rasch in den Bereich, den man, im Sinne der Autonomie, der Universität selber überlassen wollte - die Bestimmung der Entwicklungen im Einzelnen. Insofern habe ich im Augenblick etwas Mühe, eine Strategie zu formulieren. Man muss wohl der Universität Zeit lassen, solche Ziele zu diskutieren, zu entwickeln und zusammen mit dem Universitätsrat festzulegen.
Ich möchte noch etwas zum von Frau Welti angesprochenen Dialog ergänzen: Die Universität ist in einem gewissen Sinne ein Elfenbeinturm. Nicht in allen Bereichen und nicht in jeder Beziehung. Wenn sie aber Sorge hat, sich von den Fachhochschulen zu unterscheiden, muss sie auch ertragen, dass sie nicht in derart engem Kontakt mit der Umgebung steht, wie das Einzelne gerne hätten. Man muss vielleicht auch einmal Forschung betreiben, für die sich niemand interessiert. Und die Studierenden müssen sich auch mit Fragen befassen, die nicht direkt für einen späteren Beruf relevant sind. Insofern wird die Universität nie vollständig in die Gesellschaft integriert sein.
Welti: Da bin ich schon einverstanden. Die Universität muss sich auch eine kritische Distanz zur Gesellschaft bewahren. Der Dialog mit der Gesellschaft ist aber dennoch eine Chance für die Wissenschaft. In Zürich wird sehr viel in der Wissenschaftskommunikation gemacht. Wissenschaft zu kommunizieren, verständlich zu machen, ist aber nur eine Seite der Medaille. Was mir etwas fehlt ist das Zuhören - das Wahrnehmen der anderen Seite. Die Universität sollte nicht nur senden, sondern auch bereit sein zu empfangen.
Glauben Sie denn die Gesellschaft misstraut der Universität und der Wissenschaft? Und umgekehrt, die Universität misstraut der Gesellschaft?
Welti: Ich glaube schon, dass die Gesellschaftder Wissenschaft misstraut. Misstrauisch ist man ja sehr oft Dingen gegenüber, die man nicht kennt. Deshalb sollte der Gedanke eines Dialogs mit der Gesellschaft ein zentraler Punkt für eine moderne Universität sein. Er müsste auch im Curriculum entsprechend gewürdigt werden.
Wehrli: Man darf punkto Dialog dennoch nicht allzuviel erwarten, weil die Gesellschaft sehr unterschiedliche Erwartungen an die Wissenschaft stellt. Natürlich ist jeder Dialog erfreulich. Ich glaube aber, letztlich kann die Wissenschaft ihre eigenen Zweifel und Fragen nicht durch die Gesellschaft beantworten lassen. Wenn die Wissenschaftler ihrer Sache nicht sicher sind, hilft der Dialog wahrscheinlich auch nicht viel.
Von den Hochschulen wird gefordert, sie müssten sich besser profilieren, klarere Schwerpunkte in Forschung und Lehre setzen? Schliesst diese Forderung bei gleichbleibenden oder gar sinkenden finanziellen Mitteln die Idee einer Volluniversität aus?
Wehrli: Es sollte sie nicht ausschliessen. Zürich versteht sich als Universität, an der alle relevanten Wissenschaftsgebiete gepflegt werden. Es ist möglich auf einer unteren Ebene Schwerpunkte zu bilden und Abstriche zu machen. Grössere Gebiete sollten abernicht gestrichen werden, weil sie an einer anderen Universität einen Schwerpunkt bilden. Es wäre beispielsweise nicht sinnvoll, in Zürich auf die Germanistik zu verzichten. Germanistik braucht es überall.
Welti: Die Schwerpunktbildung ist eine sehr schwierige Frage. Sie wird immer wieder gefordert. Wenn man sie aber konkreter auszuformulieren versucht, stösst man sehr schnell auf Vorbehalte. Sicher ist, dass man Schwerpunktbildungen nicht einfach von oben anordnen kann. Ich fände es jedenfalls sehr schade, wenn die Universität Zürich plötzlich Fakultäten streichen müsste.
Es geht bei dieser Frage ja auch um die Exzellenz - darum, dass sich die Universität in bestimmten Forschungsbereichen an der internationalen Spitze positionieren kann.
Wehrli: Die ETH hat es immer wieder geschafft neue Gebiete aufzubauen und so eine Exzellenzpolitik zu betreiben. Andere Forschungsbereiche, die nicht mehr ganz aktuell waren, wurden im Gegenzug abgeschafft. Die ETH ist natürlich in einer anderen Situation als die Universität: Die Dampfmaschinen haben sich selber erübrigt - die Geschichte kann man dagegen bekanntlich nicht auf den Misthaufen werfen. Vielleicht gibt es in den naturwissenschaftlichen und medizinischen Bereichen tatsächlich Gebiete, bei denen ein Verzicht vertretbar ist.
Frau Welti, die Universität steht unter Spardruck. Wo kann Ihrer Meinung nach gespart werden?
Welti: Da kann ich Ihnen nach so kurzer Zeit keine Antwort geben. Ich sehe zwar, dass man sparen muss. Wo genau gespart werden kann, kann ich im Augenblick aber wirklich nicht sagen.
Wehrli: Ich schliesse mich Frau Welti an, eine Antwort auf diese Frage wäre zum jetzigen Zeitpunkt unseriös - sofern der Universitätsrat überhaupt zuständig ist.
Was halten Sie von einer Erhöhung der Semestergebühren?
Wehrli: Was mich in diesem Zusammenhang stört ist die Salamitaktik. Faktisch werden die Gebühren schrittweise erhöht. Die einzelnen Schritte sind nicht tragisch, aber es fehlt die Grundsatzdiskussion - Wer soll ein Studium finanzieren? Wie steht es mit den Stipendien? Ich sage nicht Studiengebühren sind apriori asozial. Aber es ist schon eine grosse Errungenschaft, dass die Schule im Kanton Zürich unentgeltlich ist. Jede substanzielle Gebühr müsste einmal grundsätzlich diskutiert werden, insofern sie mehr als eine Art Schutzgebühr ist, um Karteileichen zu verhindern.
Welti: Ich sehe das ähnlich - eine massive Gebührenerhöhung wäre ja auch eine Art Numerus Clausus. Der Weg an die Universität sollte allen offen stehen und nicht vom Geldbeutel abhängen. Wenn eine Gebührenerhöhung aus finanziellen Gründen unausweichlich sein sollte, käme es darauf an, in welchem Mass und in welcher Art und Weise diese Erhöhung realisiert wird.
Was sagen Sie zu Bologna: Ja oder Nein?
Wehrli: Die Frage kommt eigentlich vier Jahre zu spät. Ich glaube der Anpassungszwang ist unbestritten. Man könnte sich aber fragen: Würde man dieses System erfinden, wenn man völlig unabhängig wäre? Diese Diskussion wurde nie geführt. Wichtig ist, dass man in «Bologna» nicht einfach ein technisches System sieht, um die Prüfungsnoten auszurechnen. Man sollte darin eine Gelegenheitsehen, den Aufbau eines Studiums grundlegend zu überdenken und die Studiengänge neu oder überhaupt zu gestalten. Das ist durchaus eine Chance.
Welti: Ich bin einestarke Befürworterin von «Bologna». Ich sehe es als Chance für Restrukturierungen. Ich finde auch, die internationale Vereinheitlichung sehr positiv. Im Universitätsrat möchte ich mich für eine möglichst rasche Umsetzung der «Bologna»-Deklaration einsetzen.
Wie würden Sie sich die Universität der Zukunft wünschen?
Welti: Die Punkte, die ich zur strategischen Ausrichtung genannt habe, decken sich auch mit meiner Zukunftsvision. Ich wünsche mir eine Topuniversität, die sich nicht von ihrem gesellschaftlichen Umfeld abschottet und den Dialog nach innen und nach aussen pflegt.
Wehrli: Ich wünsche mir natürlich eine Ausstattung, die ein vernünftiges Studieren und Forschen ermöglichen. Die Universität ist zwar nicht das Zentrum der Gesellschaft, aber eventuell eines ihrer Zentren. Wenn an der Universität etwas mehr geistige Auseinandersetzung - intellektuelle Debatten und Diskussionskultur - stattfinden würde, wäre dies auch ein Gewinn für die Gesellschaft.