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Zuerst war da «Das sogenannte Böse». Das Buch von Konrad Lorenz hat ihn fasziniert, als er 15 Jahre alt war und in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) das Gymnasium besuchte. Schon da wusste er, dass er Wissenschafter werden will: Physiker oder Erforscher menschlichen Verhaltens. Das «Böse» war auch in der Schule ein Thema - es waren die 1970er-Jahre und die Zeit des Nationalsozialismus wollte aufgearbeitet werden. Wie hatte es soweit kommen können? Was treibt Menschen in Emotionen wie Hass, lässt sie Dinge tun, die sie sich rational selber nicht erklären können? Die Fragen sind geblieben - die Neuropsychologie hat auch heute noch keine endgültigenAntworten. Geblieben ist auch die Faszination von Lutz Jäncke - für ein Fach, an welchem man nicht vorbeikomme, wenn man menschlichem Verhalten auf die Spur kommen wolle.
1978 beginnt Lutz Jäncke in Bochum und Braunschweig Biologie und Psychologie zu studieren. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Gehirn und Verhalten und die Anatomie des Gehirns interessieren ihn. Als in den 1980er Jahren die Kernspintomographie entwickelt wird, stellt er sich als Versuchsperson zur Verfügung: «Als ich die Bilder von meinem Gehirn vor mir sah, wusste ich: Das ist es!»
Als Assistent an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf setzt er später selber bildgebende Verfahren für die Hirnforschung ein und schreibt seine Dissertation über die «Steuerung der menschlichen Sprechmotorik». Sein Lieblingsthema aber sind seit 1993 die Gehirne professioneller Musiker: «Die sind deshalb so interessant, weil Musiker schon als Kinder mit ihrem Instrument eine kognitive und motorische Spezialisierung beginnen und täglich viele Stunden üben.» Das müsse doch Spuren hinterlassen, ist er überzeugt - und findet sie auch: vergrösserte Hirnregionen für Motorik, Sprache und Gehör zum Beispiel.
Nach der Habilitation («Funktionelle und anatomische Hemisphärenasymmetrien») wechselt er 1997 von Düsseldorf an die Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, um Professor für Allgemeine Psychologie zu werden. Die Forschung mit Musikern geht weiter. Dabei, so betont er, sei deren Gehirn nur ein Modell für die «Plastizität» des menschlichen Gehirns überhaupt: «Früher glaubte man, das Gehirn sei nur in eine Richtung veränderbar: dem Abbau im Alter. Heute weiss man, dass auch positive Veränderungen möglich sind: Wir sind wahnsinnig lernfähig.» Gerne würde Lutz Jäncke daher auch Langzeitstudien betreiben mit Menschen, die erst im Alter eine bestimmte Tätigkeit zu lernen beginnen. Um herauszufinden, welche Auswirkungen dies auf die Anatomie des Gehirns hat.
Seit Lutz Jäncke im April 2002 an die Universität Zürich gewechselt hat, kann Neuropsychologie auch im Hauptfach studiert werden. Im Sommersemester 2003 wird er sechs Vorlesungen halten und weiterhin mit dem Aufbau der Strukturen eines neuropsychologischen Instituts beschäftigt sein - fast noch besser als «Neuropsychologie» gefällt ihm allerdings der Begriff «kognitive Neurowissenschaft». Drei wissenschaftliche Mitarbeiter hat er eingestellt, die helfen sollen, eine Wissenschaft mit Breitenwirkung auch auf Fächer wie Pädagogik, Philosophie und Psychiatrie auszuüben: «Ich bin überzeugt, dass die Grundfragen des Lebens am besten über die Neuropsychologie angegangen werden können. Denn schlussendlich findet alles im Gehirn statt: Gedanken, Gefühle und die Vorbereitung von Handlungen.»
In seiner neuen Forschungsheimat Zürich fühlt er sich gut eingebettet in die neurowissenschaftliche Forschung (vgl. Link). Er arbeitet unter anderem eng mit der Neuroradiologie des Universitätsspitals und der Biomedizintechnik der ETH zusammen: «Das war mit ein Grund für mich, nach Zürich zu kommen. Es sind hier sehr viele gute Forscher tätig.»
Seit dem Wintersemester führte er seine eigene Forschungsarbeit durch: Welche Hirnteile ermöglichen das absolute Gehör? Wie lernt das Gehirn eigentlich Klavier spielen? Welche sprechmotorischen Areale werden bei Sängern aktiv? Dazu «benutzt» er Musiker, die sich mit modernster Technik in den Kopf blicken lassen. Es gibt noch einen anderen Grund, warum Lutz Jäncke sich um die Professur in Zürich beworben hat: die Plastizität seines eigenen Gehirns. «Ich bin jetzt 45 Jahre alt, da tut eine Veränderung ganz gut. Ein neues Umfeld regt die Kreativität an.»